Argumente
Die Gründe gegen die Änderung des Energiegesetzes und des Stromversorgungsgesetzes («Mantelerlass») sind folgende:
Natur und Landschaft werden durch die Bundesverfassung
(u. a. Art. 78 BV) sowie durch verschiedene Gesetze geschützt. Das neue Gesetz gefährdet diesen Schutz (siehe unten die Stellungnahme von Prof. Griffel von der Universität Zürich).
Der vom Schweizer Parlament am 29. September 2023 verabschiedete «Mantelerlass»/«Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien (Änderung des Energiegesetzes und des Stromversorgungsgesetzes)» stellt den Natur- und Landschaftsschutz vollständig in Frage. Das Parlament will die Energiewende um jeden Preis sicherstellen – und dieser Preis ist extrem hoch. Die Natur, die Artenvielfalt und die Landschaft werden geopfert, um die «Energiewende» zu gewährleisten. Ein Widersinn: Ohne Natur ist die Rettung des «Klimas» sinnlos.
Hier einige der verheerenden Auswirkungen des «Mantelerlasses»:
• Der Vorrang des Interesses an der Stromproduktion wird zum grundlegenden Prinzip, und jede Möglichkeit dagegen vorzugehen, wird letztlich zunichtegemacht.
• Er ermöglicht den Bau grosser Wind- und Solarparks in geschützten Landschaften sowie in wertvollen Biotopen von kantonaler, regionaler und lokaler Bedeutung.
• Bei der Beeinträchtigung von Orten oder Biotopen kann auf Schutz-, Wiederherstellungs-, Ersatz- oder Ausgleichsmassnahmen verzichtet werden. Die Natur und Landschaft werden zerstört, ohne den Verlust kompensieren zu müssen.
• Er erleichtert die Rodung von Wäldern für den Bau von Windkraftanlagen.
Insgesamt wird der Natur- und Landschaftsschutz praktisch ausgehebelt, sofern ein Interesse an der Energiegewinnung besteht. Ausserdem gibt es keinen Beweis dafür, dass die durch den «Mantelerlass» erlaubten Massnahmen fossile Energieträger oder Atomkraft vollständig ersetzen können.
Helfen Sie uns, unsere Natur und Landschaft zu schützen – kämpfen Sie mit uns gegen die verfassungswidrigen Massnahmen des Parlaments!
Unterschreiben Sie das Referendum noch heute und sammeln Sie bis zum Ende des Jahres so viele Unterschriften wie möglich, erzählen Sie Ihrer Familie und Ihrem Freundeskreis davon.
Beurteilung der Verfassungsmässigkeit des sog. «Mantelerlasses» vom 29. September 2023 (Änderung des Energiegesetzes [EnG] und des Stromversorgungsgesetzes [StromVG])
Von Prof. Dr. nur. Alain Griffel, Lehrstuhl für Staats. und Verwaltungsrecht mit Schwerpunkt Raumplanung-, Bau- und Umweltrecht, Rechtswissenschaftliche Fakultät, Universität Zürich
I. Grundsätzlicher Vorrang vor Naturschutzinteressen
Der Bundesgesetzgeber ist befugt, einzelne öffentliche Interessen zu gewichten. Er darf dabei jedoch nicht gegen Interessengewichtungen verstossen, die bereits auf Verfassungsstufe vorgenommen wurden. Ein genereller Vorrang des Interesses an der Erzeugung erneuerbarer Energien vor allen anderen Interessen, insbesondere solchen des Naturschutzes (Art. 12 Abs. 3 EnG; Art. 9a Abs. 3 lit. d und Abs. 4 lit. c StromVG), verstösst in verschiedener Hinsicht gegen die Bundesverfassung (BV):
– Art. 89 Abs. 1 BV (Energiepolitik) geht von der Gleichrangigkeit der Interessen an einer aus-reichenden, breit gefächerten, sicheren, wirtschaftlichen und umweltverträglichen Energieversorgung aus.
– Aufgrund von Art. 78 Abs. 2 BV (Natur- und Heimatschutz) geniessen Landschaften von nationaler Bedeutung – d.h. ins BLN1 aufgenommene Gebiete – einen vorrangigen Schutz,2 ebenso Moore und Moorlandschaften von nationaler Bedeutung (Art. 78 Abs. 5 BV). Art. 9a Abs. 3 lit. d StromVG statuiert jedoch für die 15 Kraftwerksanlagen gemäss Anhang 2 sowie das Wasserkraftwerk Chlus auch in BLN-Gebieten einen grundsätzlichen Vorrang des Interesses an ihrer Realisierung.
– Gemäss Art. 78 Abs. 4 BV muss der Bundesgesetzgeber bedrohte Arten vor der Ausrottung schützen, was ein hohes Gewicht des Schutzes der Lebensräume dieser Arten – also des Biotopschutzes – impliziert.
1 Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung.
2 Alain Griffel, Energiewende versus Landschaftsschutz: zur Tragweite von Art. 78 Abs. 2 BV, Schweizerisches Zentralblatt für Staats- und Verwaltungsrecht 2023, Heft 3, S. 113 f.
3 Griffel, a.a.O., S. 114.
Die Verschiebung dieser bereits in der Verfassung vorgenommenen Gewichtungen zugunsten des einen und zulasten von anderen Interessen ist nicht Sache des Gesetzgebers (also des Parlaments unter Einschluss des fakultativen Referendums mit einfachem Volksmehr), sondern des Verfassungsgebers (also von Volk und Ständen aufgrund eines obligatorischen Referendums). «Die Verfassung lässt sich jederzeit neuen Gegebenheiten anpassen; man sollte nur das dafür vorgesehene Verfahren einhalten.»3
II. Weitere in verfassungsrechtlicher Hinsicht problematische Punkte
Verschiedene weitere Regelungen des «Mantelerlasses» sind in verfassungsrechtlicher Hinsicht problematisch, ungeachtet der Frage, ob sie in der Sache wünschbar sind oder nicht:
– In Auengebieten, bei denen es sich um Gletschervorfelder oder alpine Schwemmebenen handelt, sind neue Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien zulässig, wenn der Bundesrat das Gebiet erst nach dem 1. Januar 2023 in das Bundesinventar der Auengebiete von nationaler Bedeutung aufgenommen hat (Art. 12 Abs. 2bis lit. a EnG). Art. 78 Abs. 4 BV beauftragt den Bundesgesetzgeber jedoch, Vorschriften zum Schutz der Tier- und Pflanzenwelt und zur Erhaltung ihrer Lebensräume in der natürlichen Vielfalt zu erlassen, und verpflichtet ihn ausdrücklich, bedrohte Arten vor Ausrottung zu schützen. Die generelle und pauschale Freigabe bestimmter Typen von Auengebieten von nationaler Bedeutung für den Bau von Energieanlagen ist mit dieser Verfassungsvorgabe kaum vereinbar.
– Festlegung von 16 Wasserkraftwerks-Anlagen (Art. 9a Abs. 3 und Anhang 2 StromVG): (a) Der Bund verfügt über keine solche Planungskompetenz, weder gestützt auf Art. 75 BV (Raumplanung) noch gestützt auf Art. 89 BV (Energiepolitik). Ob er die Planung bestimmter Anlagen in einem Sachplan oder in einem Gesetz vornimmt, macht diesbezüglich keinen Unterschied. (b) Der Gesetzgeber nimmt hier Entscheide vorweg, die eine Beurteilung im Rahmen eines Bewilligungsverfahrens erfordern, in welchem auch andere Bundesgesetze anzuwenden sind.4 Damit greift er einzelfallbezogen in den Aufgabenbereich der rechtsanwendenden Behörden und Gerichte ein, was unter dem Aspekt der Gewaltenteilung problematisch ist.
– Die Einschränkung der Planungspflicht für 16 Anlagen, insbesondere der Ausschluss eines projektbezogenen Sondernutzungsplans (Art. 9a Abs. 3 lit. a StromVG), führt zu einem doppelten Verstoss gegen Art. 75 BV: (a) Die Regelung ist kompetenzwidrig; denn die Grundsatzgesetzgebungskompetenz des Bundes im Bereich der Raumplanung umfasst nicht auch die Befugnis, die Kantone an der Raumplanung zu hindern. (b) Die Regelung verstösst inhaltlich gegen Art. 75 BV, weil dieser vorschreibt, dass Raumplanung (Richtplanung, Rahmennutzungsplanung, Sondernutzungsplanung) zu erfolgen und nicht zu unterbleiben hat.
– Erkennt der Bundesrat einer Energieanlage ein nationales Interesse zu, so kann er auch beschliessen, dass die notwendigen Bewilligungen in einem konzentrierten und abgekürzten Verfahren erteilt werden (Art. 13 Abs. 3 EnG). Der Bundesgesetzgeber ist jedoch nur dann befugt, in die kantonale Organisations- und Verfahrensautonomie einzugreifen, wenn ihn entweder die Bundesverfassung dazu ermächtigt oder wenn dies aus anderen verfassungs-rechtlichen Gründen notwendig (also nicht bloss wünschbar) ist. Hier trifft weder das eine noch das andere zu: Die Bundesverfassung ermächtigt den Bund nicht, die entsprechenden kantonalen Verfahren zu regeln. Eine Straffung und Vereinheitlichung der kantonalen Verfahren im Zusammenhang mit Energieanlagen ist zwar wünschbar, aber nicht aus einem be-stimmten verfassungsrechtlichen Grund zwingend geboten.5
1 Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung.
2 Alain Griffel, Energiewende versus Landschaftsschutz: zur Tragweite von Art. 78 Abs. 2 BV, Schweizerisches Zentralblatt für Staats- und Verwaltungsrecht 2023, Heft 3, S. 113 f.
3 Griffel, a.a.O., S. 114.
4 Stauanlagengesetz, Elektrizitätsgesetz, Gewässerschutzgesetz, Fischereigesetz, Natur- und Heimatschutz-gesetz, Waldgesetz, Umweltschutzgesetz, Störfallverordnung usw.
5 Der Versuch des Bundesrates, in der Botschaft zur Änderung des Energiegesetzes vom 21. Juni 2023 (BBl 2023 1602, S. 23 f.) das Gegenteil zu begründen, vermag deshalb rechtlich nicht zu überzeugen.